Bundespräsident Alexander Van der Bellen gemeinsam mit seinem montenegrinischen Amtskollegen im Gespräch mit APA und Kronen Zeitung

Bundespräsident warnt vor »Machtvakuum« am Westbalkan

Alexander Van der Bellen und sein montenegrinischer Amtskollege im Gespräch mit APA und Kronen Zeitung.

Eine EU-Erweiterung am Westbalkan ist für sowohl für "die Stabilität und den Wohlstand der Region" als auch auch für die "Sicherheit des europäischen Kontinents" enorm bedeutend. Dies betonte Montenegros Präsident Jakov Milatović anlässlich seines Besuchs beim Wiener Opernball, zu dem ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen eingeladen hatte. Dieser warnte seinerseits vor einem "Machtvakuum" in der Westbalkanregion. Ein solches sei keineswegs im Interesse Österreichs.

Gerade der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sei ein "Weckruf" für Brüssel und andere europäische Hauptstädte gewesen, um zu verstehen, dass die Erweiterungspolitik bezüglich der Länder am Westbalkan (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro und Serbien) mit der Sicherheit Europas zusammenhänge, waren sich Alexander Van der Bellen und Jakov Milatović in einem gemeinsamen Interview mit der APA und der "Kronen Zeitung" einig.

In der EU habe sich insbesondere vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bereits eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit breit gemacht habe, zogen beide Präsidenten Bilanz. Das daraus entstandene "Vakuum" in der Region sei sukzessive auf unterschiedliche Weise von "Drittstaaten" wie Russland oder China aufgefüllt worden. "China ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Finanziers und Bauherren einiger der größten Infrastrukturprojekte in der Region geworden", hielt Präsident Milatović fest. Zu Moskau gebe es am Balkan dazu gewisse historische Verbindungen, die nach wie vor hochgehalten würden. Dennoch sei die EU dort die "am meisten beachtete Drittpartei". "In Montenegro ist das absolut der Fall, ich glaube aber, es gilt generell für die ganze Region." In seinem Land jedenfalls würde er bei einer Abstimmung über einen EU-Beitritt aktuell mit einer Zustimmungsrate von über 80 Prozent rechnen.

"Ich denke, dass der EU-Beitritt für viele Länder in ganz Europa eine transformative Erfahrung war", warf der als proeuropäisch geltende montenegrinische Präsident, der seit Mai 2023 im Amt ist, einen Blick zurück. "Denken Sie an die Länder im Osten Europas, denken Sie an die Länder im Süden Europas, das Gleiche gilt jetzt für die Balkanländer." Die Aussicht auf einen EU-Beitritt sei "der stärkste externe Anker, der Reformen auf dem Balkan vorantreibt." Montenegro verstehe sich diesbezüglich "als echter Vorreiter" und wolle ab 2028 der Europäischen Union angehören. Dieser Beitrittsprozess müsse leistungsorientiert sein, könne aber gerade deshalb "ein sehr positives Signal an den Rest der Region" aussenden. "Weil die Länder dann sehen, dass sich Reformen und eine neue politische Kultur auszahlen.". Dafür seien eben "demokratische Grundlagen und Wirtschaftsreformen wichtig."

Der frühere britische Premierminister Winston Churchill habe einmal gesagt, dass "der Balkan mehr Geschichte produziert, als er irgendwie konsumieren kann", erinnerte Präsident Milatović. Angesichts der immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Serbien und dem Kosovo oder der separatistischen Ideen des Serbenführers Milorad Dodik in Bosniern-Herzegowina gelte dies gewissermaßen immer noch, insinuierte der 37-Jährige. "Ich gehöre aber zu der neuen Generation von Politikern die hofft, den Balkan wirklich zu einem positiv langweiligen Ort zu machen."

 

Bundespräsident Van der Bellen verwies darauf, dass Österreich den Balkanstaaten geschichtlich verbunden gewesen sei, aber auch in der Gegenwart enge Beziehungen habe. Immerhin würde eine sehr große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern im Land leben, die aus Kroatien, Serbien, Bosnien oder Montenegro stammen würden. Es liege aber auch aus rein wirtschaftlichen Gründen im nationalen Interesse Österreich den EU-Annäherungsprozess am Balkan voranzutreiben. Immerhin sei Österreich einer der größten Investoren in der Region, erinnerte auch Milatović. "Österreich genießt in der Region einen guten Ruf. Österreichische Unternehmen werden als glaubwürdig wahrgenommen. Sie kommen mit Know-how und Expertise, die dann zusammen mit den Ressourcen aus Montenegro und dem Rest des Balkans genutzt werden, um einen neuen Mehrwert zu schaffen."

Die angestrebten Beitritte der Westbalkanstaaten zur EU sollten jedenfalls sukzessive erfolgen. "Ich persönlich würde es für einen Fehler halten, zu warten, bis alle sechs anschlussfähig sind", erklärte Alexander Van der Bellen. "Das wäre zum Beispiel im Fall von Montenegro ein Zeitverlust, den wir den dortigen Einwohnern nicht erklären könnten." Andere Länder wie Serbien müssten sich freilich noch entscheiden, forderte der Bundespräsident. Sie sollten noch klären: "Ist es uns ernst? Wollen wir es wirklich?" Andere Kandidaten würden hingegen bereits "alles tun, um die Bedingungen zu erfüllen." So habe Albanien bereits mehr als 50 Prozent des Justizapparats ausgetauscht hat, um wirklich alle Anzeichen von Korruption zu beseitigen.

Er sehe "aktuell kein Hindernis", das dem angestrebten EU-Beitritt Montenegros bis 2028 in Wege stehen könnte, versicherte Budnespräsident Van der Bellen. Bezüglich der Frage, ob ein allfälliger Machtwechsel in Österreich nach den heurigen Nationalratswahlen daran ändern könnte, gab sich Präsident Milatović, der vor knapp 20 Jahren als Student ein Semester an der Wirtschaftsuniversität Wien verbrachte hatte, diplomatisch. "Ich möchte mich nicht dazu äußern, wie die Entscheidung des österreichischen Volkes ausfällt." Er hoffe aber, dass jede Seite innerhalb des politischen Spektrums Österreichs einen Beitritt Montenegros unterstützen werde.

(Das Interview führten Edgar Schütz/APA und Christian Hauenstein/Kronen Zeitung)